Als ich das erste Mal etwas von Adipositas OPs hörte, damals ging es um ein Magenband, liegt wohl schon mehr als 20 Jahre zurück. Damals begeisterte sich eine Freundin dafür und erörterte das Thema begeistert mit jeden, der es hören wollte.
Interessanterweise entwickelte ich währenddessen eine absurde Eifersucht auf ihren offen ausgesprochenen Wunsch "spielend" schlank werden zu wollen. In meinem Kopf stelle ein solches Vorgehen eine schändliche Schwäche dar, eine feige Schummelei und einen charakterlichen Makel. Schließlich wusste doch jeder, dass Abnehmen weh tun muss.
Mein Verständnis war, dass nur das Erleben von Leid verhindern würde, wieder zu viel zu essen. Je mehr ich also beim Abnehme litt, um so nachhaltig würde die Abnahme sein. Liefe alles "richtig", so würde ich am Ende so viel Angst vor dem Essen zu haben, dass ich es nie wieder wagen würde, auch nur daran zu denken.
Zumal ich damals noch ganz andere Probleme hatte, die mich bereits seit meiner Jugend quälten. Phasen von wechselnden Nahrungsmittelunverträglichkeiten, undefinierbaren Schmerzen und Krämpfen meist im Unterbauch und Durchfall, der mich wochenlang in Atem hielt - nur um dann wieder irgendwie in Vergessenheit zugeraten, weil gerade einmal alles gut war.
Damals wurde mir von meinem Umfeld suggeriert, dass das eine Sache des "Zusammenreißens" wäre. Ich sollte weniger Jammern und endlich abnehmen und dann wäre alles perfekt.
Ich machte also weiter wie immer: restriktive Diät, extensives Essen, intensiver Sport, extensives Essen, restriktive Diät usw. Damit habe ich mich in den 1990zigern auf geschätzte 150 kg hoch-diätet und wusste weder ein noch aus.
Ich gab auf und widmetet mich stattdessen Anti-Diät- und Intuitives Essen-Ratgeber. In der Folge nahm ich zwar weitere 20 kg zu, aber ich fing auch an zu verstehen, warum das mit den Diäten, den Essanfällen, dem Sport und den Abführmitteln für mich nicht funktionieren konnte. Es sollte jedoch noch 20 weitere Jahre, zwei Monate Intensivstation (Thrombose, Lungenembolie, Morbus Crohn Diagnose) und weitere 20 kg Zunahme dauern, bis mein Wendepunkt kam.
Im Sommer 2013 schmerzten meine geschwollene und steifen Gelenke bei jedem Schritt und Tritt, ein Bandscheibenvorfall aus dem Jahr 2006 macht mir zu schaffen und das ehemalige Thrombose-Knie, wahrscheinlich durch die lange Schonhaltung, war kraftlos geworden und knickte immer wieder unter mir weg.
Die Kellertreppe zu bewältigen kostet mich enorme Anstrengungen, einkaufen gehen wurde zur Ultra-Sport-Session und der leicht ansteigende Weg in unseren Gartenanteil hinterm Haus brachte mich fast zum Kollabieren. Ich schlief schlecht, wachte immer wieder mit Atemnot und stechenden Kopfschmerzen auf, und nickte deswegen während des Tages immer wieder ein. Mir kam der Gedanken, dass es eine Erleichterung wäre, wenn ich mich zu Tode zu essen könnte.
Doch irgendetwas hatte sich verändert. Zwar widmete ich mich nach wie vor meiner alten Hass-Liebe dem "Essen“ und lebte eine „ist doch eh alles egal“-Einstellung, doch ich aß mit einer gewissen Unwilligkeit und Abscheu; schließlich brachte mir das Essen nur schweißtreibende Spaziergänge zur Toilette ein; mein Zustand hatte sich, in der Folge der Darm-OP, die meiner Crohn Diagnose vorangegangen war, zum Teil verschlechtert.
Ende Oktober 2013 kam dann eine Bekannte aus Österreich ins Spiel, die einen Bypass bekam und mich bewog meine alte Einstellung zum Thema Adipositas OP grundlegend zu überdenken. Ich wusste bereits, dass eine Morbus Crohn-Diagnose keine Kontraindikation für eine Adipositas-OP sein würde, und ich hatte in der S3-Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas von Juni 2010 gelesen, dass „eine relevante Gewichtsbeeinflussung, bei Vorliegen eines BMI ≥ 60 kg/m2, auch unter multimodaler Therapie nicht zu erwarten ist“ und damit der Weg für eine Kostenüberübernahme der Krankenkasse als wahrscheinlich galt.
Ich schrieb meiner Bekannten davon und witzelte darüber, wie schön es doch wäre, wenn ich auch einen BMI von über 60 hätte und somit nur geringe Probleme eine Adipositas OP zu bekommen. Aus Spaß entstaubte ich meine verhasste Personenwaage, stieg darauf und bekam den Schock meines Lebens: 192,7 kg / BMI 62.
Bis heute bin ich gleichermaßen fasziniert und erschrocken darüber, wie sehr man sich selber belügen kann. Kognitive Dissonanz, nennt man das. Ein für die menschliche Psyche unerträglicher Zustand (ich bin stark übergewichtig), der widersprüchlich zu den Überzeugungen steht (so schlimm ist es doch nicht) steht.
Keine 12 Stunden später hing ich am Telefon und hatte nicht nur eine Ernährungsberaterin, sondern auch Termine mit absolut jedem Arzt vereinbart, der mir einfiel, und der mir nützlich sein könnte, a) meine Status quo zu ermitteln und b) mir eine Kostenübernahme der Krankenkasse einzuholen (damals der Standardablauf).
Was das Adipositas-Zentrum betraf, so wandte mich an die nächstgelegene Anlaufstelle, das Universitätsklinikum Mannheim. Doch der Termin "fühlte" sich für mich nicht "richtig" an und ging ich zu einer zweiten Meinung in das Adipositaszentrum Frankfurt Sachsenhausen; wo ich dann auch operiert wurde.
In den nächsten Wochen sauste ich von einem Termin zum nächsten und hatte das Gefühl immer mehr statt weniger Fragen zu haben. Ich intensivierte meine Recherchen zum Thema im Internet, besuchte meine erste Selbsthilfegruppenstunde und informierte mich in einem großen Sport- und Therapiezentrum in der Nachbarstadt zum Thema Funktionssport für 200kgler; wo ich übrigens, ganz zu meiner Freude, im Angebot wöchentliches Aquajogging entdeckte.
Da ich Ärzte immer gemieden hatte, kamen die Tiefschläge nun reihenweise. Neben den ersten hilfreichen Attesten gab es jeden Menge niederschmetternden Diagnose und viele Folgetermine. Einerseits war das natürlich ein „Erfolg“, denn jede Grunderkrankung steigerte meine Chancen auf Kostenübernahme, doch so aus dem Nichts heraus und in dieser Menge, nicht einfach zu verkraften.
Ein herber Rückschlag für mich war, dass ich, die von mir gewünschte OP-Methode (ein Magenbypass oder noch lieber eine biliopankreatische Teilung mit Switch, je restriktiver, desto besser war mein Motto) nicht bekommen würde. Wegen meines aktiven Morbus Crohns (aktiv = weil die Erkrankung mindestens einmal ausgebrochen war und damit der Darm als extrem anfällig und „brüchig“ gilt) war keiner der Chirurgen bereit, mehr als einen Schlauchmagen zu verantworten.
Zu diesem Zeitpunkt, Anfang des Jahres 2014, war ich kurz davor aufzugeben. Schuld daran waren mal wieder die Ärzte, die damals den Magenbypass als Gold-Standard bezeichnet und den Schlauchmagen mit deutlich geringere Aussichten auf Erfolg gehandelt haben. Ich war mich sicher, dass ein Schlauchmagen nicht weit genug ging, um meinem Körper beizubringen abzunehmen; wie sich 2021 herausgestellt hat, als ich zum SASI umgebaut wurde, hatte ich zum Teil recht damit.
Womöglich lag es auch daran, dass es für mich eine sehr schmerzvolle Aufgabe war, mich in Bewegung zu setzten. Doch je mehr Termine ich wahr nahm, desto mehr kam ich … in Bewegung, unter Menschen, in neue Situationen und ins (soziale) Leben zurück. Erste Erfolge stellten sich ein und damit auch ganz leise und für mich völlig überraschend, neuer (Lebens-)Mut. Ich war wieder da!
5 Monate nach meinem ersten Arzt-Termin, Ende März 2014, hatte ich endlich alles Notwendige zusammengetragen, um erfolgreich einen Antrag auf Kostenübernahme bei meiner Krankenkasse zu stellen. Ich hatte mich auch eine lange, ungemütliche und belastende Wartezeit eingestellt, doch nach nicht einmal 14 Tagen kam die Zusage. Am 18. Juni 2014 war es dann so weit, ich bekam im Krankenhaus Sachsenhausen einen Schlauchmagen.
Heute ist mein damaliger Traum von der Erfüllung eines schlanken Schönheitsideals, der realen Dringlichkeit gewichen, meine verbleibende Lebenszeit so gesund und munter wie möglich zu verbringen. Meinen Weg dorthin habe (und werde ich auch weiterhin) ich auf Happy End Kurven unter dem Stichwort "Status quo" festhalten.